Placebo (lat. "ich werde gefallen")

Was macht man, wenn man eigentlich ganz schön viel tiefgründigen Kram hevorbringen möchte und gerade auch könnte, aber weiß, dass ein falsches Wort in den falschen Augen das absolut schlimmste Drama auslösen könnte, das man gerade so gar nicht gebrauchen kann? Man lässt es. Oder man schreibt trotzdem, aber über was anderes. Vielleicht gibt es ja sowas wie einen Schreib-Placebo. Die Finger tippen und tippen und der Körper denkt "oh! bekannte Bewegungen, bekannte Hirnregionen die beansprucht werden! Die Medizin ist wieder da! Jetzt wird das Gehirn bestimmt gleich leerer und das Herz leichter!" Vielleicht, wer weiß das schon.

In letzter Zeit stehe ich total auf Aufbrauchen und leer machen, auf weg schmeißen und ausmisten. Ich bin der Anti-Messi, ich würde gerne ständig allen möglichen Kram wegwerfen, auch wenn ich ihn irgendwann noch brauchen könnte, nur weil er mir gerade auf die Nerven geht, mich belastet. Die Anhäufung von Besitz ist mir suspekt und eigentlich würde ich, wenn ich nicht so vernünftig wäre, meine Wohnung und mein Hab und Gut ständig grundsanieren, verschenken, verkaufen, verscherbeln. Los werden, was mich anhaften lässt. Aus einer Kiste leben, in der wirklich nur die 50 wichtigsten Dinge sind, die ich besitze. Wobei darunter meine Tagebücher als eine Sache fallen müssten, sonst hätte ich außer Ihnen nur noch Platz für 2 Schlüppies. Vielleicht stehe ich deshalb auch so auf Umzüge, das ist immer wieder ein seelischer Neuanfang für mich. Aber da ich ja nicht ständig meine Koffer packen kann und mir meine Wohnung gerade auch viel zu gut gefällt, findet das alles zur Zeit im Kleinen statt, was mich auch ziemlich zufrieden stellt. Momentan ist mein Lieblingsgebiet Kosmetik und Hygieneartikel, denn da habe ich so einiges mit der Zeit angehäuft und vieles nicht aufgebraucht. Deshalb lautet mein derzeitiges Ziel vor Augen "Wenn ich fertig bin, habe ich nur noch einen Lidschatten und drei Nagellacke und alle Bodylotions, die sich dank jeweiliger Unzufriedenstellung und ständiger Wahnsinnsversprechen der Neuerungen auf dem Markt mit den Jahren angesammelt haben, sind leer und ich kann mich endlich auf die Suche nach DER Lotion machen, die wirklich das kann, was ich mir wünsche." Reinste Utopie, das kann wohl jede Frau bestätigen.

Aber der Weg in diese Utopie befreit mich ungemein. Ich stehe total drauf, eine Shampooflasche GANZ leer zu bekommen und sie endlich weg zu werfen, solange, bis ich nur noch eine Flasche Shampoo habe, nicht mehr drei. Und wenn die letzte dann aucb leer ist, werde ich etwas Neues, ganz Besonderes kaufen, darauf freue ich mich ganz besonders. Auch wenn ich dann eine zeitlang Dinge nutze, von denen ich nicht begeistert bin, es sträubt sich in mir, etwas wegzuwerfen, für das ich Geld ausgegeben habe, auch wenn ich nicht überzeugt vom Produkt bin. Solange es mir nicht schadet, wird es nun gnadenlos ausgequetscht. Außerdem lege ich mittlerweile immer mehr Wert auf Qualität bei den Dingen, die auf meine Haut oder meine Haare losgelassen werden. Qualität bedeutet für mich persönlich nicht super teuer, edel und "im Trend", ich will keine gehyptes "High-End" Produkt, hinter dem ein Konzern steht, der seinen Erfolg auf dem Leiden von Tieren aufbaut, die die Schminke oder das Gesichtswasser am eigenen, kleinen, unschuldigen Leib auf Verträglichkeit prüfen mussten, die gequält wurden, damit wir Menschen uns unnötigen Mist ins Gesicht schmieren können, ohne Sorge tragen zu müssen, dass wir einen Pickel, oder eher Schlimmeres davon tragen.

Ich will mehr Verantwortung tragen und weiter weg von Chemie und Betrug, von falschen Werbeversprechen, unmoralischen Herstellungsprozessen und Produzenten, an deren Händen unschuldiges Blut klebt. Ich will nur noch wenig besitzen und benutzen, aber dafür bewusst und mit einem reinen Gewissen, denn außer meiner eigenen Gesundheit ist mir auch wichtig, dass auf dem Weg in mein Bad und meinen Körper nicht über Leichen gegangen wird. Eine der eher wenigen Dinge, in denen ich weiß, wohin ich will und in denen ich eine Überzeugung in mir trage.



Ja, es hat in gewisser Weise gewirkt, der Placebo hat angeschlagen und ich fühle mich wie ich mich immer fühle, wenn ich geschrieben habe: zufrieden. Nicht weil ich so stolz auf mein Werk wäre, sonder weil es mich für eine Weile ruhig, geordnet und glücklich gemacht hat. Und deshalb ist es manchmal auch irgendwie egal, worüber man schreibt, ob man das große Gefühlschaos in sich, für das es sowieso nie die richtigen Worte gibt, zulässt, oder ob man sich mal kurz auf eine andere Sache im Leben konzentriert, die vielleicht weniger groß ist, aber auch ein Teil dessen ausmacht, was man ist. Nämlich nicht nur ein Haufen von Gefühlsschnipseln (wie ich mich zumeist empfinde) sondern Jemand mit vielen Interessen, Stärken, Fehlern und Visionen von einer bisschen besseren Welt durch den richtigen Griff ins Regal.

"So plant your own gardens and decorate your own soul, instead of waiting for someone to bring you flowers."


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