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Ich habe Angst vor den Worten, die ich nicht schreibe. Die Worte, die sich in meinem Kopf anfühlen, als würden sie sich durch sämtliche Gehirnmasse bis hinaus an die Haut fressen, die sich winden, verstecken vor den Gegengedanken, die sie einfangen und niederringen möchten. Ich habe Angst vor dem Ende. Des Jahres. Dem Rückblick.

Durchpusten, Lüften, allen alten Mist rausschmeißen und alles auf Anfang. Wann bin ich so geworden, wann habe ich verlernt, die Kontrolle abzugeben, wurde es mir je beigebracht? Bin ich seit eh ein Sklave meiner Selbst, abhängig von Empfindungen, die mein Körper auslöst aber die eigentlich nicht zu mir gehören, zu MIR, dem Ich, dass ich so oft zu suchen scheine, eigentlich ständig, doch das es versteht, sich zu tarnen. 

Die Zeit wird knapp, die Zeit rennt und alles was wir fühlen ist morgen schon wieder ein Stechen im Bauch, eine leere Versprechung weil ich mir selbst nicht glauben kann. 

Wenn ich zurückblicke war gerade erst der 1. Januar, ein sonniger und schöner Tag an dem man die Ruhe nach dem Sturm genießt hat, und gleichzeitig fühlt es sich so an, als liegen zwischen damals und jetzt Jahrzehnte. Ich habe einiges erlebt und "erreicht", auch wenn ich mich nicht wirklich erwachsener fühle, weiß ich doch, ich bins. Ich habe gestrauchelt und mich festgelegt, habe Entscheidungen getroffen, die lange an mir nagten und Freundschaften losgelassen, die nicht sein sollten, ich habe 6 Länder bereist und mich in vier Meeren verloren, ich habe gezittert und geweint, ich habe den schlimmsten Tag des Jahres noch in den Knochen sitzen, ich habe gelacht und gegessen, einfach mal aus Glück und ohne den Bauch zu beachten und konnte irgendwann endlich ohne Angst einschlafen, weil ich nicht mehr allein sein muss. In fast keiner Nacht.

Ich habe eine Katze adoptiert und mir damit eine Lebensaufgabe gesetzt, ich nahm die Verantwortung an und bin nur ganz kurz mal deshalb ausgeflippt. Ich habe endlich die Entscheidung gegen die Hormone und für meinen Körper getroffen, auch wenn ich die Konsequenzen hasse (an dieser Stelle ein Hoch auf  Buscopan!) und fühle mich befreiter und ausgeglichener den je (außer in diesen paar Tagen im Monat... mein Beileid gilt hierbei allen von meiner Laune Betroffenen). 

Ich bin endlich ehrenamtlich tätig geworden und setzte mich ein. Ich verdiene mein eigenes Geld und spende an der richtigen Stelle.

Und ich habe mir Ziele gesetzt, mir Mühe gegeben und Mut gehabt, neue Herausforderungen anzunehmen und habe nun einen Platz in der Uni, der genau zu mir passt. Ich habe Grenzen gesetzt und eingesehen, dass man nicht überall dazu gehören kann und auch nicht möchte und ich habe eine wirklich gute Freundin dazu gewonnen. Eine, die ehrlich ist. Und bleibt.

Ich habe soviel Zeit wie möglich war mit meiner Familie verbracht und habe mich bemüht immer voll da zu sein - ich habe wieder Zugang zu meinem Papa gefunden und ich habe mir erlaubt mich manchmal wieder wie ein kleines Kind zu fühlen, man kann die Vergangenheit nicht ändern, aber die Zukunft kann sie nach und nach wieder gut machen.

Ich war fast blond und genoss es, den Sommer ungeschminkt zu sein. Ich kehrte zurück zu Schnewittchenhaar und lernte meine Augenbrauen zu schminken. Ich habe mir einen Rucksack gekauft und musste feststellen, wie praktisch die doch sind. 

Ich bin nicht geflogen. Habe mir kein Tattoo stechen lassen. Ich habe meine vollen Teetassen weiterhin regelmäßig vergessen, doch habe jemand gefunden, der sie dann einfach kalt trinkt. Ich war immernoch nicht in König der Löwen und ich vermeide weiterhin irgendwo anzurufen, wo ich den Gegenüber nicht kenne - auch nicht um einen Tisch zu reservieren. Ich habe nicht jeden Tag einen Grund aufgeschrieben, wegen dem es mir gut ging, denn viel zu oft stünde da nur "naja, ich habe geatmet". 

Ich stalke besser den je auf Facebook und weiß mit wem der Ex meiner entfernen Bekannten vor Jahren mal was hatte - unnötige Informationen reizen mich. Ich hab vegan leben nicht durchgezogen, weil ich zu bequem war und ich habe eine Jacke und Schuhe mit Leder gekauft, obwohl ich das vermeiden möchte. 

Ich habe beschlossen das Momente, von denen kein Mensch weiß und niemand je erfahren wird, eigentlich nicht passiert sind und ich habe Dinge getan und gesagt, die ich nicht so gemeint habe und Menschen verletzt, die mir mal alles bedeutet haben. Ich habe Gedanken, die sich so nicht gehören und ich bin mit manchen Gedanken noch lange nicht fertig. Ich war nicht immer ehrlich und ich bereue viel, aber ich war mir treuer als im Vorjahr und ich habe niemanden hintergangen. 

Es gibt keinen Grund, dass ich mich Ruhm bekleckere, aber ich muss mich auch nicht abgrundtief hassen und schämen. Dinge passieren, Worte fallen, Entscheidungen werden getroffen und wir wachen dennoch am nächsten und übernächsten Morgen und das ganze weitere Leben über auf und haben einen Tag vor uns, der uns die Chance bietet, uns zu bessern. Am Charakter zu feilen, sich Schwächen einzugestehen und sie irgendwie in Stärken umzuwandeln - obwohl ich den Gedanken eigentlich seltsam finde. Schwächen machen uns aus und gleichzeitig soll ich sie benutzen um "besser" zu werden? Vielleicht muss man auch einfach mehr an seinen Schwächen vorbei schauen, sie abnicken und DAHINTER die Stärken entdecken?

Ich empfinde Liebe und erhalte so viel zurück, wie ich es mir bisher nur erträumen konnte.

Ich hab so viel erlebt und ich bin eigentlich immernoch die Alte. Ich habe nur versucht meine Grundsätze wieder aufzustellen, mir die großen Tafeln immer wieder anzuschauen und sie mir mit voller Wucht entgegen knallen zu lassen, wenn ich wieder spinnigen Gedanken bekomme.

Ich sehe den Ort vor mir, an dem ich mich fallen lassen kann. und ich zögere.

Ich habe viel aufgegeben und noch mehr gewonnen, ich habe mich entschieden. Und dennoch fehlen die 100 Prozent, das entgültige Loslösen von meinem alten Ich, in dem ich es mir so viele Jahre bequem gemacht habe. Ablösen bedeutet Kontrollverlust und damit komme ich weiterhin noch nicht klar. Ich glaube, ich brauche nochmal Zeit, nochmal andere Anstöße und Konzentration auf das, was ich wirklich will. ICH. Nicht das, was die Anderen von mir erwarten. Nur das, was für mich wichtig ist. Und dafür liegt nun ein neues, unbeschriebenes Buch vor mir, das gefüllt werden will.

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