safe places.

 Mount-Aspiring-Nationalpark, 12. Januar 2018.


18.000km von zuhause entfernt habe ich mich die meiste Zeit so viel sicherer gefühlt als im

Moment hier in meinem Alltag, in meinem Zuhause. Sicherer nicht, weil ich objektiv gesehen

sicherer war, sicherer deshalb, weil ich in mir eine Sicherheit hatte, die ich scheinbar teilweise

dort zurückgelassen habe. Die Sicherheit reist wohl weiter ohne mich, wie gut ich das

eigentlich verstehen kann.


Doch was ich so gar nicht verstehen kann: wieso gerade die Sicherheit? Wieso konnte ich nicht

etwas Anderes zurücklassen? Meine Angst vor Spinnen oder meine Kaffeeunverträglichkeit?

Oder noch viel besser: meine Unsicherheit? Wann war der Punkt, als wir uns voneinander

haben und ich es scheinbar verpasst habe, sie festzuhalten und mit in den nächsten Flieger zu

nehmen? Warum hat sie nicht gesagt, dass sie von mir wegwill, dann hätte man nochmal

drüber reden und ich sie vielleicht überzeugen können zu bleiben. Wie kann man von so einem

Trip zurückkommen und sich dann einfach immer wieder nicht mehr geborgen im eigenen

Leben fühlen, obwohl man von so viel Vertrautem umringt ist, das einen daran erinnert, wo

man hingehört?


Ich erinnere mich noch so gut an die eine Nacht, in der ich viel weitergefahren bin, als ich

eigentlich wollte. Nicht nur das, es war viel weiter, als ich eigentlich konnte. Ich war müde, es

war nach 0 Uhr, hat geregnet und die Straßen waren so dunkel und eng, dass das Passieren

eines Autos, das mir entgegengekommen wäre, sehr viel mehr Konzentration meinerseits

erfordert hätte, als ich in dem Moment noch übrig hatte. Ich war in den Bergen, irgendwo auf

der Südinsel hinter zwei Gletschern unterwegs. Touri-Spots, die ich schneller hinter mir lies

als die meisten, da die Berge einfach nicht mein Element sind. Beeindruckend aber auch

erdrückend, unheimlich und viel zu mächtig. Die Strecke war lang und man kam aufgrund der

Straßenverhältnisse nur langsam voran. Nicht dass man in Neuseeland irgendwo mal wirklich

schnell fahren konnte, was ich auch sehr schätze, aber langsam war hier wirklich nochmal eine

ganze Spur langsamer. Ich bin eine gute Fahrerin, das weiß ich. Aber in dem Moment hatte ich

Angst, dass ich einfach nicht mehr aufmerksam genug bin oder im schlimmsten Fall einfach

einschlafe. Ich musste ganz dringend anhalten und schlafen. Dabei gab es zwei Probleme: ich

hatte kein Netz, daher wusste niemand in meiner Welt wo ich bin und ich wollte meinem

(damals noch nicht) Freund unbedingt noch schreiben, damit jemand der nicht 18.000

sondern nur 3.000 km entfernt ist und mit dem ich 24/7 Kontakt hatte sich keine Sorgen um

mich macht. Und zweitens: es kam einfach kein Platz zum Anhalten, kein Campingplatz und

nicht mal ein vernünftiger Parkplatz seit bestimmt 100 Kilometern. Es waren noch 1,5h bis

Queenstown, mein Ziel des heutigen Tages. Die Stadt, in der ich die Berge dann hinter mir

gelassen hätte. Aber ich konnte nicht mehr und ich wollte einfach nur ankommen, endlich

schlafen.


Der Campingplatz kam unerwartet und ich hätte ihn fast verpasst, weil es in Wirklichkeit nicht

mehr als ein Parkplatz mit einem kleinen Toilettenhäuschen und Unterstand zum Kochen war.

Aber in dem Moment war mir alles recht und alles egal, ich wollte nur stehen. An vielen

Plätzen kann man einfach in einen kleinen Kasten die Gebühr schmeißen und das Kennzeichen

und den Namen auf einem kleinen Zettel hinterlassen, ab und an kommt ein Ranger vorbei

und kontrolliert den Platz, häufig aber auch nicht. Ich habe bezahlt, zu dem Zeitpunkt war ich

noch sehr brav unterwegs, und habe es nicht mehr geschafft Zähne zu putzen, sondern bin

gleich hinten in meine kleine Schlafkoje geschlüpft und habe eigentlich erwartet, sofort

einzuschlafen, so erschöpft war ich und so sehr war es meinen Augen nach zu fallen und sich

von der Anstrengung zu erholen.


Doch irgendwas lies mich Ewigkeiten nicht in den Schlaf gleiten, im Gegenteil. Ich wurde

unruhig, drehte mich ständig von links nach rechts, draußen waren andere Camper am Reden

und lachen und in mir machte sich ein Unbehagen breit. Selten habe ich mich so klein gefühlt,

habe regelrecht die Berge um mich herum gespürt, wie sie mich umhüllen wollen, einsperren,

verschlingen. Wie der Nebel sich langsam über mein Auto legt, ich nichts mehr als eine weiße

Wand sehe. Und das mit dem Nebel war nicht nur ein Gefühl, sondern wirklich so. Es gibt so

Nächte, in denen man sich den Morgen so sehr herbei sehnt, damit die Dunkelheit und damit

auch die Furcht verschwindet, die sich aber leider ziehen wie eine ganze Rolle dieser blauen

Kaugummischnecken, die man immer auf einmal essen musste, obwohl es einem danach

garantiert schlecht war und die Zähne vor Säure und Zucker schmerzten. Nächte, in denen

man ewig keinen Schlaf findet und die so unglaublich anstrengend sind, dass man dann, wenn

man dann doch irgendwann erschöpft einschläft, genauso erschöpft gefühlt 5 Minuten später

wieder aufwacht.


Ich war wach, sobald es wieder hell um mein Auto wurde. Übersprang wieder das Zähne

putzen ohne überhaupt daran zu denken, übersprang meinen morgendlichen Pfefferminztee

und mein Porridge und setzte mich noch im Schlafanzug wieder ans Steuer. Der Nebel hatte

sich gelegt, überall lag Tau auf den Bäumen, den Autos und dem Gras und es roch so herrlich

frisch, dass ich, trotz dass es noch ganz schön kühl draußen war, sofort das Fenster runter

kurbelte und die frische Luft aufsog und mich wieder ein bisschen lebendig zu fühlen begann.

Ich startete das Auto, verwechselte mal wieder Scheibenwischer und Blinker und fuhr auf die

kleine Auffahrt zur Straße zu.


Was ich dann sah, lies mich erstmal nochmal fest blinzeln, dann direkt wieder anhalten. Es

war niemand hinter oder vor mir oder überhaupt schon wach, es war 7 Uhr morgens und ich

stand in der Auffahrt und staunte. Alles, was ich letzte Nacht durch die Dunkelheit um mich

herum nicht sehen konnte, das lag jetzt in der Helligkeit des Morgens vor mir. Ich war auf der

Höhe einiger kleiner Wolken, alles war noch ein bisschen zu grau, zu diesig und zu verschlafen

aber schon klar genug, um in der Ferne den Gipfel zu sehen.


Mitten im Neuseeländischen Sommer, was nichts Außergewöhnliches für dieses Land in dieser

Höhe ist, fand für mich in diesem Moment die Versöhnung statt. Mit der kurzen, unruhigen

Nacht, mit meiner Angst und mit der Fahrt, die ich hinter mir hatte. Aber auch mit der Fahrt,

die ich noch vor mir hatte, denn ich spürte in dem Moment die Weite vor mir auch endlich in

mir. Eine Weite und Unendlichkeit, die mir bisher keine Berggipfel und Aussichten von weit

oben geben konnten, sondern einzig und allein das Meer. Etwas Neues, das mir mehr Mut und

Glücksgefühle für den Tag geben konnte, als die Nacht mir genommen hatte. Die Nacht, in der

die Sicherheit noch da war.

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